Kann man die Persönlichkeit eines Menschen oder seine grundlegenden Charaktereigenschaften, die sich im Laufe des Lebens verfestigen, verändern? Der bekannte österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud vertrat die Ansicht, dass die Persönlichkeit eines Menschen bereits in den ersten fünf Lebensjahren in Stein gemeißelt wird. Auch viele gegenwärtige Psychologen sind der Meinung, dass die gesamte Persönlichkeit eines Menschen im Laufe des Lebens fest und unveränderlich ist.
Ist es also überhaupt möglich, mit der richtigen Einstellung und harter Arbeit eine Veränderung des persönlichen Charakters zu erreichen, oder müssen wir die unerwünschten Eigenschaften akzeptieren, die uns womöglich daran hindern, unsere Ziele zu erreichen? Steht unsere Persönlichkeit fest?
Der Wunsch nach einer Veränderung der Persönlichkeit ist nichts Ungewöhnliches. Schüchterne Menschen wünschen sich vielleicht, geselliger und kommunikativer zu sein. Temperamentvolle Menschen hingegen möchten in emotionalen Stresssituationen stets einen kühlen Kopf bewahren. Im Laufe des Lebens kann es vorkommen, dass ein Mensch bestimmte Aspekte seiner Persönlichkeit verändern möchte. Viele nehmen sich sogar Ziele oder Verpflichtungen vor, mit denen sie eine solche Veränderung erreichen möchten. Vermutlich kennen wir alle die Neujahrsvorsätze, ein großzügigerer, freundlicherer oder geduldigerer Mensch zu sein.
Im Großen und Ganzen können echte und dauerhafte Veränderungen grundlegender Charaktereigenschaften äußerst schwierig sein. Kann man also, wenn man mit einigen Aspekten seiner Persönlichkeit unzufrieden ist, wirklich etwas ändern? Einige Fachleute, darunter auch die Psychologin Carol Dweck, sind der Meinung, dass der Schlüssel zur Veränderung des Charakters im Bereich unserer Verhaltensmuster, Gewohnheiten und Überzeugungen zu finden ist, also unter der Oberfläche der grundlegenden Charaktereigenschaften.
Carol S. Dweck ist eine US-amerikanische Forscherin auf dem Gebiet der Persönlichkeits-, Sozial- und Entwicklungspsychologie. Sie studierte an der Yale University und ist zurzeit Professorin an der Stanford University. Zudem ist sie Mitglied der American Academy of Arts and Sciences.
Wie entsteht eigentlich der Charakter eines Menschen?
Natur vs. Erziehung
Um nachvollziehen zu können, ob die Persönlichkeit verändert werden kann, müssen wir zunächst herausfinden, was genau eine Persönlichkeit ausmacht. An diesem Punkt kommt die Debatte über Natur und Erziehung ins Spiel. Ist die Persönlichkeit durch unsere Gene (Natur) oder durch unsere Erziehung, unsere Erfahrungen und unser Umfeld, in dem wir aufwachsen, geprägt? In der Vergangenheit haben Theoretiker und Philosophen oft einen gegensätzlichen Ansatz verfolgt und sich für die Bedeutung der Natur oder der Erziehung ausgesprochen. Heute aber sind sich die meisten Experten einig, dass unsere Persönlichkeit durch eine Kombination aus beiden Faktoren geprägt wird.
Die Interaktion zwischen diesen beiden Einflüssen trägt sogar dazu bei, wie sich unsere Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. So kann es beispielsweise sein, dass Sie genetisch dazu veranlagt sind, freundlich und gelassen zu wirken, aber eine in einem stressigen Umfeld durchgeführte Arbeit dazu führen könnte, dass Sie sich wiederum weniger temperamentvoll und zurückhaltend verhalten.
Eine Geschichte über Zwillinge
Karol Dweck erzählt eine Geschichte über eineiige Zwillinge. Beide Jungen wurden unmittelbar nach der Geburt voneinander getrennt und wuchsen unter dem Einfluss unterschiedlicher Erziehungsmethoden auf. Als erwachsene Männer heirateten sie Frauen mit denselben Vornamen, teilten ähnliche Hobbys und wiesen sogar ähnliche Charaktereigenschaften auf, die mit Hilfe von Persönlichkeitstests gemessen wurden.
Solche Beispiele bilden die Grundlage für die Vorstellung, dass sich unsere Persönlichkeiten weitgehend unserer Kontrolle entziehen. Gerade Beispiele wie die Geschichte dieser Zwillinge, die nicht durch ihr Umfeld und ihre einzigartigen Erfahrungen, sondern durch genetische Einflüsse geprägt wurden, weisen auf die Macht genetischer Einflüsse hin.
Die genetische Veranlagung ist also sicherlich von großer Bedeutung, wobei jedoch andere Studien belegen, dass unsere Erziehung und sogar unsere Kultur mit unserer genetischen Veranlagung interagieren und uns tatsächlich zu dem machen, was wir sind.
Die Schlüsselrolle der Oberflächeneigenschaften der Persönlichkeit
Laut Dweck sind Persönlichkeitsveränderungen jedoch immer noch möglich. Die zentralen Eigenschaften des Charakters scheinen unser ganzes Leben lang festzustehen, wobei jedoch die Qualitäten, die in der Schicht unter der Oberfläche des Charakters liegen, laut Dweck entscheidend dafür sind, wie die Persönlichkeit eines Menschen aussieht. Gerade die Eigenschaften in dieser Schicht können ihrer Meinung nach verändert werden.
Was liegt eigentlich unter den Oberflächeneigenschaften der Persönlichkeit?
- Der Glaube und das Glaubenssystem – also unsere Sicht von uns selbst, der Welt und den anderen. Bei der Gestaltung der grundlegenden Charaktereigenschaften spielt dies eine entscheidende Rolle. Es ist durchaus schwierig, die Hauptcharaktereigenschaften zu ändern, wohingegen die Veränderung dieser Glaubenssysteme viel realistischer und realisierbar ist. Die Veränderung dieser Systeme wirkt sich wiederum darauf aus, wie sich die Hauptcharaktereigenschaften entwickeln.
- Nach Ansicht anderer Theorien tragen Ziele und Strategien zu ihrer Verwirklichung entscheidend zur Ausbildung von Persönlichkeitsmerkmalen bei. Wenn beispielsweise jemand eine Typ-A-Persönlichkeit hat, kann die Person neue Zielerreichungsfähigkeiten und Stressbewältigungstechniken erlernen und somit im Umkehrschluss gelassener bzw. ruhiger wirken.
“Menschliche Glaubenssysteme umfassen geistige Darstellungen des Wesens und der Funktionsweise des eigenen Ichs, sowohl allein als auch in Beziehung zu anderen und der restlichen Welt. Diese Glaubenssysteme und Vorstellungen werden bereits in der frühen Kindheit geformt. Zahlreiche Persönlichkeitsexperten verschiedener Richtungen sind sich einig, dass diese Komponenten ein grundlegender Bestandteil der Persönlichkeit sind“, erklärt Carol Dweck.
Warum unser Fokus auf Glaubenssysteme liegen sollte?
Auch wenn es gar nicht so einfach ist, diese Muster zu ändern, ist es trotzdem ein guter Ansatzpunkt. Überzeugungen, die wir haben, prägen unser Leben von Grund auf. Zudem haben sie Einfluss darauf, wie wir beispielsweise uns selbst und andere wahrnehmen, wie wir im Alltag funktionieren, wie wir die Herausforderungen des Lebens angehen und wie wir zwischenmenschliche Beziehungen gestalten. Ändern wir ein Glaubensmuster, so kann sich dies auf unser Verhalten und vielleicht sogar auf bestimmte Aspekte unserer Persönlichkeit auswirken.
Betrachten wir beispielsweise, wie Sie sich selbst wahrnehmen. Die Überzeugung, dass Ihre persönlichen Merkmale und Eigenschaften verändert werden können bzw. dass sie festgelegt sind. Wenn Sie davon überzeugt sind, dass Ihre Intelligenz unveränderlich ist, werden Sie wahrscheinlich nicht versuchen, Ihr eigenes Denken zu entwickeln. Wenn Sie hingegen glauben, dass Ihre Intelligenz zunehmen kann, werden Sie sich bemühen, Ihr Denken zu erweitern und zu vertiefen.
Eine Veränderung, die zu einer besseren Selbstwahrnehmung führt
Es ist offensichtlich, dass der Glaube einen Einfluss darauf hat, wie sich eine Person verhält. Allerdings haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Menschen ihre eigenen Glaubenssysteme ändern können, um eine bessere Einstellung zu sich selbst zu bekommen. In einer Studie erzielten Studenten höhere Lehrerbewertungen, bessere Notendurchschnitte und ein größeres Gefühl der Zufriedenheit in ihrem Studium, nachdem sie entdeckt hatten, dass das Gehirn als Reaktion auf den Erwerb neuen Wissens neue neuronale Verbindungen herstellt.
Fixierte Denkweise versus wachstumsorientierte Denkweise
Forschungsarbeiten von Carol Dweck haben ergeben, dass auch die Art und Weise, wie Kinder gelobt werden, Einfluss darauf haben, wie sie sich selbst wahrnehmen. Kinder, die für ihre Intelligenz gelobt werden, neigen dazu, persönliche Eigenschaften als unveränderlich zu betrachten (fixierte Einstellung) – man besitzt sie oder man besitzt sie nicht. Dweck fand heraus, dass Kinder, die für ihre Bemühungen gelobt werden, ihre Intelligenz als eine formbare Größe betrachten (Wachstumsdenken) und dass solche Kinder belastbarer sind, wenn es darum geht, in stressigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und stets ein größeres Verlangen haben, neue Dinge zu erlernen.
Was können wir also tun, um unsere Charaktereigenschaften zu ändern?
Sich von einem introvertierten in einen extrovertierten Menschen zu verwandeln, wird äußerst schwierig oder sogar unmöglich sein. Es gibt jedoch Dinge, die Sie laut Experten tun können, um bestimmte Aspekte Ihrer Persönlichkeit langfristig zu verändern.
- Fokussieren Sie sich auf die Änderung Ihrer Gewohnheiten. Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen mit positiven Persönlichkeitsmerkmalen (wie beispielsweise Freundlichkeit und Ehrlichkeit) gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen entwickelt haben, die sie stärken. Da Gewohnheiten erlernt werden können, kann man durch die schrittweise Änderung gewohnter Verhaltensweisen eine Charaktereigenschaft verändern. Selbstverständlich muss man damit rechnen, dass es viel Mühe kosten wird, aber mit genügend Übung kann eine neue Gewohnheit zu einer neuen Eigenschaft werden.
- Verändern Sie Ihre Selbstwahrnehmung. Wenn Sie versuchen, aufgeschlossener zu sein, aber glauben, dass Ihre introvertierte Persönlichkeit eine unveränderliche Eigenschaft ist, dann werden Sie einfach nicht versuchen, sozialer zu werden. Wenn Sie jedoch glauben, dass Ihre Persönlichkeitsmerkmale verändert werden können, werden Sie sich wahrscheinlich bemühen, sozialer zu werden – achten Sie daher stets auf Ihre Selbstwahrnehmung.
- Verleihen Sie dem Prozess einen bestimmten Zweck. Carol Dwecks Forschungen haben wiederholt bestätigt, dass die Wertschätzung von Anstrengung gegenüber Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung ist. Statt sich selbst zu sagen, dass man „klug“ oder „begabt“ sei, sollte man stattdessen sagen, dass man „hart gearbeitet“ habe oder „einen Weg gefunden habe, es herauszufinden“. Vermeiden Sie eine starre Denkweise, sondern kultivieren Sie eine wachstumsorientierte Denkweise. Mit dieser Einstellung fällt es Ihnen leichter, Veränderungen und Wachstum zu erleben.
- Spielen Sie es, bevor Sie es schaffen. Der Psychologe Christopher Peterson stellte bald fest, dass sich seine introvertierte Persönlichkeit negativ auf seine Karriere als Wissenschaftler auswirken könnte. Um dies zu überwinden, beschloss er, sich in Situationen, die dies erforderten, extrovertiert zu verhalten, etwa wenn er einen Vortrag vor einem Klassenzimmer voller Studenten hielt oder auf einer Konferenz eine Präsentation hielt. Schließlich würden diese Verhaltensweisen mit der Zeit zur Gewohnheit werden. Während er sich bewusst war, dass er immer noch introvertiert war, lernte er, in nötigen Situationen extrovertiert zu sein.
Eine Veränderung der Persönlichkeit ist nicht einfach, und die Änderung einiger der Oberflächeneigenschaften wird vielleicht nie ganz möglich sein. Dennoch sind Forscher davon überzeugt, dass es Dinge gibt, die Sie tun können, um bestimmte Teile Ihrer Persönlichkeit zu verändern. Diese Aspekte liegen unterhalb der Ebene der Oberflächeneigenschaften und können zu echten Veränderungen in der Art und Weise führen, wie Sie handeln, denken und im täglichen Leben funktionieren.