Erschreckende Fakten
Legen Sie Ihr Handy beiseite und achten Sie auf das, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Denn glauben Sie mir, wenn ich fertig bin, werden Sie es vielleicht nie wieder in die Hand nehmen wollen.
Das könnte allerdings schwierig werden: Im Durchschnitt schauen wir 85- bis 101-mal pro Tag auf unsere Smartphones. Im Jahr 2022 verbrachten wir weltweit durchschnittlich 2 Stunden und 23 Minuten pro Tag auf Social Media – davon 53 Minuten allein auf Instagram, einer App, die im Oktober letzten Jahres ihren 13. Geburtstag feierte und 2020 die Möglichkeit für Nutzer einführte, Likes zu verbergen.
Diese neue Funktion, die am 26. Mai 2020 eingeführt wurde, umfasst zwei Einstellungen: Eine, mit der wir Likes beim Durchblättern des Feeds deaktivieren können, und eine, mit der wir Likes bei unseren eigenen Beiträgen deaktivieren können.
Nun, das klingt vielleicht nicht gerade nach einer bahnbrechenden Neuheit. Es ist doch nur eine App, oder? Aber diese scheinbar harmlose Foto-Sharing-App ist so tief in unserem Leben verwurzelt, dass 39% von uns behaupten, sie nur „zum Zeitvertreib“ zu nutzen. Das ist Zeit, die Sie nutzen könnten, um ein leckeres Essen zu kochen, ein Buch zu lesen, mit Ihrer Familie zu sprechen oder ein langes Bad zu nehmen. Aber seien wir ehrlich, Sie würden Ihr Handy wahrscheinlich mit ins Bad nehmen und auch beim Kochen durch Ihren Feed scrollen. Wahrscheinlich juckt es Sie jetzt schon in den Fingern, es zu überprüfen – und Sie haben noch nicht einmal 200 Wörter dieses Artikels gelesen.
Moralische Panik und reißerische Schlagzeilen darüber, dass Instagram unser Gehirn verrotten lässt und unser geistiges Wohlbefinden zerstört, uns gar zu app-abhängigen Zombies macht, hören wir fast so oft, wie wir unsere Handys checken. Aber ist diese ständige Nutzung wirklich so schlimm für uns?
Suizide von jungen Personen stehen mit der Nutzung von Social Media in direktem Zusammenhang
Im Januar veröffentlichte das Royal College of Psychiatrists einen Bericht, der sich genau mit dieser Frage befasst. Der Bericht fordert Social-Media-Unternehmen auf, Daten darüber zu veröffentlichen, wie junge Menschen diese Apps nutzen. Das hat traurige Gründe: Die Zahl der Fälle von Selbstverletzung ohne Suizidabsicht hat sich im Vereinigten Königreich in den letzten zehn Jahren verdreifacht, und jede Woche sterben durchschnittlich vier Kinder im schulpflichtigen Alter durch Suizid. Das Nutzungsverhalten von Social Media bei jungen Menschen steht damit in direktem Zusammenhang.

Wenn wir an schlechte mentale Gesundheit denken, ist Social Media oft der Feind Nummer eins – insbesondere für junge Menschen. Aber selbst wenn wir uns nicht zu den „gefährdeten“ Gruppen zählen, sind wir wirklich von den Gefahren ausgeschlossen? Was wissen wir eigentlich darüber, was in unserem Gehirn vorgeht, wenn wir jeden Tag stundenlang gedankenlos scrollen?
Neurologen erforschen diese Auswirkungen und warnen davor, dass übermäßiger Gebrauch dieser Technologie die Funktionsweise unseres Gehirns verändern kann. Dies kann nicht nur unsere mentale Gesundheit, sondern auch unser Verhalten ernsthaft beeinträchtigen. Wenn Instagram tatsächlich unser Gehirn beeinflusst, könnten wir zu echten, app-abhängigen Zombies werden.
Ich hoffe, dass Ihre Handys immer noch weggelegt sind. Es ist höchste Zeit, aufzuwachen und sich der potenziellen Gefahren bewusst zu werden, die Social Media mit sich bringt.
Unsere Smartphones lassen unser Gehirn schrumpfen
Eines der Dinge, die Sie wahrscheinlich schon gehört haben, ist, dass Instagram Dopamin ausschüttet – eine Chemikalie im Gehirn, die uns glücklich macht. Klingt toll! Aber Moment mal, so großartig ist das gar nicht. Denn Likes, Follower und Co. erhöhen zwar den Dopaminspiegel, halten uns aber auch in unserer Sucht gefangen. Und immer mehr Zeit auf Instagram zu verbringen, kann neurologisch gesehen schädlich sein.
Letztes Jahr wurde die Publikation „The Online Brain“ veröffentlicht. Darin untersuchte die Weltgesundheitsorganisation (Anmerkung: Tatsächlich war es die World Psychiatric Association, nicht die WHO), welchen Einfluss das Internet auf unsere graue Substanz im Gehirn hat. Sie brachte faszinierende Erkenntnisse ans Licht, zum Beispiel, dass unsere Telefone uns „anmachen“. Ja, richtig gehört: Eine Studie zur Hautleitfähigkeit, die gemessen wurde, als wir zu einer App wie Instagram wechselten, ergab, dass die „Erregung anstieg“. Oh je.
Die wohl beunruhigendste Erkenntnis ist, dass die Nutzung sozialer Netzwerke die gleiche Auswirkung auf unser Gehirn haben kann wie „altersbedingte kognitive Einbußen“. Vielleicht brauchen wir jetzt ein Anti-Aging-Mittel für unser Gehirn. Die Hauptursache ist die „Atrophie“ – vereinfacht gesagt, dass wir unsere Gehirnmuskulatur nicht ausreichend beanspruchen, sodass sie sich verschlechtert.
Die kognitive Neurowissenschaftlerin Dr. Caroline Leaf erklärt, dass dies daran liegt, dass wir bei der Nutzung von Social Media auf „tiefes Denken“ verzichten – eine Übung, die unser Gehirn braucht, um fit zu bleiben. Mit anderen Worten: Durch unsere Telefone verwenden wir unser Gehirn nicht richtig. „Ihr Gehirn verändert sich von Moment zu Moment, je nachdem, was Sie ihm aussetzen“, sagt sie. „Wenn Social Media zu dem wird, was Sie ihm überwiegend aussetzen, ermöglichen Sie Ihrem Gehirn, Netzwerke zu verändern und Neurotransmitter falsch zu feuern. Sie werden nicht im Einklang feuern und Ihre Gehirnwellen werden nicht kohärent sein. All dies verursacht abnormale Bahnen im Gehirn.”
Während es für Instagram noch keine spezifischen Gehirnscans gibt, existieren bereits welche für übermäßiges Internet- und Social-Media-Verhalten. „Wir führen quantitative EEG-Hirnmessungen durch, die die elektrische Aktivität im Gehirn aufzeichnen, und vergleichen sie mit einer ‘normierten’ Datenbank von Ergebnissen aus den 1970er Jahren“, erklärt Dr. Caroline Leaf. „Es findet eine radikale Verschiebung statt. Die neuronale Aktivität ist viel höher – es sieht verrückt aus.”
Verlust des Könnens, sich zu langweilen
Ist es also schlecht, wenn unser Gehirn anfängt, wie eine Schublade mit verhedderten Ladekabeln auszusehen? Die renommierte Neurologin Baroness Susan Greenfield bejaht dies. „Was Social Media bieten, ist ein Erlebnis, kein Gedanke. Diese schnellen Bilder steuern die Funktionsweise des Gehirns – wir denken nicht mehr, wir reagieren nur noch. Es geht um die sensorische Kraft dieser Anwendungen, um die Stimulation, die sie uns liefern. Wir verarbeiten Informationen schneller, verstehen sie aber nicht.”
Achtung: Scheinwerfer versus Punktlicht


Denken Sie daran, dass wir auf Bilder 60.000-mal schneller reagieren als auf Worte. Beim Scrollen durch Instagram wechseln wir oft zwischen verschiedenen Apps und Bildschirmen. Multitasking zwischen Geräten ist heutzutage normal, was bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeit wie Scheinwerfer „streuen“ – laut Psychologen „Reflektor-Aufmerksamkeit“ – im Gegensatz zu „Punktlicht-Aufmerksamkeit“, der Art von Konzentration, die unserem Gehirn guttut.
Können Sie sich noch daran erinnern, als wir erwähnt haben, dass tiefes Denken ein Training für unser Gehirn ist? Social Media scheinen dafür zu sorgen, dass wir das nicht mehr tun. Stattdessen nehmen wir durch Scrollen in Feeds oder durch ständige Benachrichtigungen zu viele oberflächliche Informationen auf einmal auf. Dies führt zu einem psychologischen Phänomen: Informationsüberflutung. Eine Studie aus dem Jahr 2019 ergab, dass dies einen enormen Einfluss auf das „Motivationssystem“ unseres Gehirns hat. Zu viele Informationen werden buchstäblich als Bedrohung wahrgenommen und wir versuchen ihnen auszuweichen. Die Ironie ist, dass durch zu viele Informationen gar keine Informationen mehr in unser Gehirn gelangen. Die Lösung? Langeweile. Heutzutage langweilt sich niemand mehr, weil wir unsere Smartphones für ständige Unterhaltung nutzen. Ein Schlüsselversuch aus dem Jahr 2014 zeigte jedoch, dass wir lieber leiden, als uns zu langweilen. Als die Teilnehmer 15 Minuten lang in einem Raum gelassen wurden, in dem sie nichts tun konnten, außer einen Summer zu drücken, von dem sie wussten, dass er ihnen einen elektrischen Schlag versetzen würde, wählte mehr als die Hälfte von ihnen den Summer. Schockierend.
Langeweile bedeutet, mit seinen Gedanken allein zu sein, was laut Baroness Greenfield für die Entwicklung unseres Gehirns entscheidend ist. „Die Nutzung unserer Vorstellungskraft ist aus kognitiver Sicht wirklich wichtig“, sagt sie. „Sie müssen einen inneren Gedankenprozess schaffen – etwas, das Sie selbst unter Kontrolle haben. Jetzt steuern Social Media diese Gedankenprozesse für uns, was tiefgreifende psychiatrische Auswirkungen haben kann.”
(Un)glückliche Menschen
Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass Social Media mit Blick auf diese neurologischen Prozesse entwickelt wurden. Es ist kein Zufall, dass Instagram unseren Dopaminspiegel erhöht. So soll es sein, das hält uns bei der App. Social Media wurden geschaffen, um bestehende menschliche Bedürfnisse wie Eitelkeit, soziale Interaktion und gesellschaftliche Anerkennung zu erfüllen. Die Gründer von Instagram, Kevin Systrom und Mike Krieger, haben dies im Wesentlichen im Stanford Persuasive Tech Lab in Kalifornien gelernt (wie der Name schon sagt, ein Labor für Überzeugungs- und Manipulationstechniken).

Während soziale Medien entwickelt wurden, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, haben sie gleichzeitig die schlimmsten Seiten der Menschheit verstärkt (Mobbing wird zu Cybermobbing, negative Gedanken zu Trolling) und die menschliche Psyche wird negativ beeinflusst – FOMO, soziale Angst und sogenannter „Aufwärtsvergleich“ werden auf Instagram stark gefördert.
Der psychologische Fachbegriff für den Vergleich mit jemandem, den man für überlegen hält, ist Aufwärtsvergleich (Wheeler, 1966). Abwärtsvergleich beschreibt hingegen den Vergleich mit jemandem, den man für unterlegen hält (Wills, 1981).
Genau diese negative Zuspitzung schadet unserer psychischen Gesundheit. Deshalb wurde Instagram in einer Studie aus dem Jahr 2017 als die Social-Media-Plattform identifiziert, die jungen Menschen am meisten schadet.
Professor John Gabrieli vom McGovern Institut für Hirnforschung am MIT sieht den Grund dafür in der Art und Weise, wie unser Gehirn Emotionen reguliert. „Wir haben beobachtet, dass Kinder und Jugendliche wesentlich schlechter mit negativen Emotionen umgehen können“, erklärt er. „Als Erwachsene lernen wir normalerweise Widerstandsfähigkeit, aber für diese jüngere Generation ist es schwieriger, da sie in sozialen Netzwerken einem ständigen Strom negativer Interaktionen ausgesetzt sind.”
Vor den sozialen Medien machten wir uns vielleicht Sorgen, dass unsere Freunde ohne uns Spaß haben oder dass uns niemand mag. Jetzt bieten soziale Medien eine Metrik für unsere Beliebtheit, einen Beweis dafür, dass sich unsere Freunde tatsächlich ohne uns amüsieren. Das kann für ein sich entwickelndes Gehirn überwältigend sein.
Social Media zerstören die Emotionsregulation
Eine Krankenschwester, die in einer psychiatrischen Einrichtung für junge Menschen arbeitet, beschreibt die Gefahren von Social Media eindringlich: „Das Gefährlichste, was man hier mitbringen kann, ist ein Smartphone.“ Sie bestätigt, dass Social Media die psychischen Probleme ihrer Patienten stark verschlimmern. Sie schildert den Fall einer Patientin, deren Zustand sich ausserhalb von Instagram verbessert, aber sobald sie die Plattform wieder nutzt, „kehren Selbstverletzung und Suizidversuche zurück“. Ein weiteres Mädchen, das ein schreckliches sexuelles Trauma erlitten hat, leidet unter ständiger Angst, dass Bilder ihres Missbrauchs auf Instagram veröffentlicht werden könnten. „Sie sagte mir, dass dies ihr Leben beenden würde – denn für die meisten meiner Patienten spielt sich ihr Leben im Internet ab.”
Die Sozialpsychologin Kathrin Karsay von der KU Leuven in Belgien erklärt, dass insbesondere junge Menschen unter einem sozial-kognitiven Prozess leiden, der als Internalisierung bezeichnet wird. Dabei „übernimmt der Mensch sozial geschaffene Vorstellungen als persönliche Ziele, die Teil seiner Identität werden.“ Karsay fand in ihrer Forschung heraus, dass 47 % der Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren ihre sozialen, beruflichen, sexuellen und körperlichen Ziele aus Instagram gewinnen, und dass sich negative Gefühle einstellen, sobald sie das Gefühl haben, diesen nicht zu entsprechen.
Vergleichskultur und ständiger Druck
Der zerstörerische Einfluss von Social Media liegt auch in der Kultur des Vergleichs, von der nicht nur Teenager betroffen sind. Die 31-jährige Olive Watts aus London litt vor zwei Jahren unter lähmender Angst und suchte jede Woche einen Therapeuten auf. „Ich fühlte mich wie eine minderwertige Version von mir selbst. Dass ich nicht schlau genug, dünn genug oder gut genug angezogen war“, sagt sie. „Ich konnte die guten Dinge in meinem Leben nicht sehen, ich konzentrierte mich nur auf das, was ich nicht hatte.”

Olives Therapeut riet ihr, alle Social-Media-Kanäle zu löschen, und Olive hat nie zurückgeblickt. Ihre Angstzustände haben sich deutlich verringert, sie besucht jetzt nur noch monatlich einen Therapeuten und fühlt sich „befreit“ davon, „zu sehen, wie alle anderen ein ‘besseres’ Leben führen”.
Olive ist nicht allein. Der besorgniserregende Anstieg von Instagram-bedingten Problemen hat sogar zu einem neuen Berufsfeld geführt: Lucy Sheridan ist die weltweit erste „Vergleichstrainerin“. Sie hilft Menschen zu verstehen, dass das, was sie auf Social Media sehen, oft nicht der Realität entspricht.
Um diese Problematik stärker in den Vordergrund zu rücken, schrieb die Journalistin und Instagram-Influencerin Katherine Ormerod 2018 das Buch Why Social Media Is Ruining Your Life („Warum Social Media dein Leben zerstört“). Sie selbst bemüht sich nun bewusst, „realistischere“ Inhalte auf Instagram zu teilen, merkt aber an: „Ich glaube, es ist fast unmöglich, Fantasie von der Realität zu trennen. Wir sehen ein Bild und wissen, dass es bearbeitet ist, aber es hat trotzdem einen psychologischen Effekt. Man denkt immer noch: „Ich wünschte, ich wäre so glücklich/schlank/erfolgreich.“
„Instagram ist ein Vergleichs-Las Vegas,” stimmt Lucy Sheridan zu und wiederholt damit die Meinung vieler Experten, die die Plattform mit einem Glücksspielautomaten vergleichen. Schließlich swipen wir ständig, um neue Inhalte zu aktualisieren, scrollen weiter, um mehr zu sehen, und riskieren dabei bei jedem Swipe unsere mentale Gesundheit.
Wie man Freunde verliert und Menschen beeinflusst
Ich weiß, was Sie sich denken. Derzeit weist alles daraufhin, dass wir in einer digitalen Dystopie leben. Klingt vielleicht weit hergeholt, aber seit wir uns alle bei sozialen Medien angemeldet haben, sind tatsächlich ganz neue Verhaltensregeln entstanden.

Man spricht von „Phubbing“ (Telefon in Gesellschaft benutzen) und Wissenschaftler erforschen, welchen Einfluss das auf die soziale Entwicklung haben kann. Dr. Amy Orben, Psychologin an der Universität Cambridge, meint, dass soziale Medien verändert haben, wie wir heutzutage Freundschaften schließen.
„Soziale Modelle basieren auf gegenseitigem Informationsaustausch über Zeit und auf eine ausgewogene Weise. Soziale Medien brechen dieses Modell. Wir können eine riesige Menge Informationen über jemanden bekommen, ohne selbst etwas zu verraten. Ich glaube, das verändert die Art und Weise, wie wir Beziehungen mit Menschen aufbauen, grundlegend.”
Instagram pusht Narzissmus statt Zugehörigkeit. Paradoxerweise für ein „soziales“ Netzwerk bestehen 80% der Inhalte auf Instagram aus Selbstgesprächen, verglichen mit 30-40% Selbstbezogenheit in normalen Unterhaltungen.
Alles begann, als Instagram von einer einfachen Foto-Sharing-App zum Zuhause von Selfies und Geburtsort des „Influencers“ wurde – der Idee des Einzelnen als Marke.
„Millennials sehen soziale Medien als Raum für Selbstdarstellung“, sagt Sara McCorquodale, Autorin des Buches „Influence“ und Gründerin der Digitalberatungsfirma Corq Studio. „Und diese Interpretation der Funktion von sozialen Medien war der Schlüssel zur Veränderung des allgemeinen Verhaltens.”
Natürlich müssen Sie kein Influencer sein, um so zu denken. Nehmen wir die selbstbewusste Instagram-Abhängige Rhiannon Simmons (26): „Ich sehe mein Leben als eine Reihe von Fotogelegenheiten und das stresst mich.“ Ihr Job – oder Leben – hängt nicht von ihrem Kanal ab, trotzdem spürt sie einen „ständigen, unterschwelligen Druck“, etwas zu posten.
Ich frage mich, wie es für jemanden sein muss, der noch nie auf Instagram war. Die 29-jährige Ianthe Carter hat die App ihr ganzes Leben lang gemieden. „Ich finde es seltsam, dass die Leute sich hyperaktiv bewusst sind, dass es um Imagebildung geht, und es trotzdem tun“, sagt sie. „Ich sehe, wie meine Freunde Fotos von uns machen, während wir uns unterhalten, anstatt den Moment zu erleben. Ich verstehe das nicht.”
Soziale Medien sind mit der Struktur der Gesellschaft nicht im Einklang
Ianthe hat Recht. Das Perfide an Instagram liegt in seiner unauffälligen Umgestaltung unseres menschlichen Verhaltens. Der „Einfluss“ von Instagram wirkt sich nicht nur auf unser Gehirn, sondern auf unseren gesamten soziologischen Rahmen aus. Ist dies jetzt die neue Norm? Ist unser Leben nur noch eine Reihe von Instagram-Momenten?

Chris Sanderson, Kreativdirektor und Mitbegründer des Future Laboratory, nennt Smartphones „Taschenfeuer“, da sie zu einem Ersatz für das „Lagerfeuer“ geworden sind, an dem sich Höhlenmenschen versammelten. Der Sozialpsychologe Adam Alter stimmt ihm zu, und warnt zusätzlich davor, dass soziale Medien zunehmend die einzige Freizeit einnehmen, die wir nicht mit Arbeiten, Schlafen oder „Überleben“ verbringen. „Aus psychologischer Sicht brauchen Menschen Zeit, die sie von Angesicht zu Angesicht mit anderen Menschen verbringen, Zeit für sich selbst und Zeit in der Natur“, warnt er.
Tristan Harris, Gründer des Center for Humane Technology, ehemaliger Google-Mitarbeiter und Studienkollege (ja, in jenem Persuasive Technology Lab) der Instagram-Gründer, meint, dass diese sozialen Medien „nicht mit der Struktur der Gesellschaft vereinbar“ und in ihrem Kern gefährlich seien. Seine Mission ist es, diese Technologieunternehmen zu reformieren. Seine Organisation setzt sich für eine ernsthafte Regulierung von Apps wie Instagram ein.
Verbunden? Am Smartpone gefesselt zu sein beudeutet einen niederigen Status
Sind wir also dem Untergang geweiht? Sind unsere Gehirne für immer zerstört? Der digitale Anthropologe Juliano Spyer glaubt nicht daran und relativiert unsere Panik vor dem „Postmenschlichen“ im digitalen Zeitalter. „Ich glaube, dass die sozialen Medien die Welt verändert haben, und nicht uns“, sagt er und verweist auf seine Feldforschung, die zeigt, wie verschiedene Kulturen auf der ganzen Welt soziale Medien auf unterschiedliche Weise nutzen. „Es ist eine menschengeführte Anwendung, aber sie hat nicht verändert, wer wir sind.”
Natürlich gibt es auch einen deutlichen – und wachsenden – Widerstand gegen soziale Medien. Tristans Organisation steht schließlich noch am Anfang, und der Professor, der ihn im selben Stanford-Labor für Überzeugungstechnologien unterrichtete, BJ Fogg, schrieb letztes Jahr auf Twitter: „In Zukunft wird es eine ‘postdigitale’ Bewegung geben. Wir werden uns bewusst werden, dass es ein Statussymbol mit niedrigem Status ist, an das Telefon gefesselt zu sein, ähnlich wie Rauchen.“
Chris erzählte mir, dass die Suche nach digitalen Detoxes im letzten Jahr um 314 % gestiegen ist, und in den USA gibt es einen wachsenden Trend zum „Dopamin-Fasten“, bei dem man konzentriert eine bestimmte Zeit ohne neuronale Reize durch Telefon und andere Stimuli verbringt, um seinen natürlichen Dopaminspiegel im Gehirn zurückzusetzen. Oft ist es so einfach, dass man in einem dunklen Raum liegt und – richtig geraten – Langeweile hat.
Wie man das Gehirn zurückschalten kann
Vielleicht ist dies der Schlüssel zur Reparatur unserer Gehirne, die – glücklicherweise – reparierbar sind. „Es geht um Gedankenkontrolle“, sagt Dr. Leaf, der zufolge wir mehr Zeit abseits von Instagram brauchen – zum Lesen, Nachdenken und Konzentrieren auf eine Sache gleichzeitig. „Wenn Sie das tun, starten Sie Ihr Gehirn neu – aktivieren Sie Netzwerke neu und stellen Sie die Gesundheit Ihres Gehirns wieder her.”
Diese Denkweise liegt offensichtlich im Trend. Dr. Leaf hat ihre eigene App Switch entwickelt, die ihr dabei hilft, und im September letzten Jahres erschien das Buch „Indistractable“ des Verhaltensexperten Nir Eyal, das die Bedeutung dieser Form der Selbstbeschränkung im Gegensatz zu einem vollständigen digitalen Detox betont. Dr. Leaf zeigt einen QEEG-Scan von jemandem vor und nach dieser Art von Gedankenkontrolle. Das Ergebnis ist ein klareres, weniger „verrücktes“ Gehirn. Beeindruckend – und ermutigend.
Auch Social-Media-Unternehmen und Technologiemarken beginnen auf diese Probleme zu reagieren. Instagram hat Schritte zur Selbstsicherung unternommen, von In-App-Unterstützung für Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen bis hin zur Einführung der Entfernung von „Likes“. Und Google hat die Initiative Digital Wellbeing gestartet, in deren Rahmen Anfang dieses Jahres Hüllen für Ihr Smartphone entwickelt wurden, die Sie daran hindern, es für andere Zwecke als Anrufe zu verwenden.
Auch wenn uns vielleicht noch ein langer Weg bevorsteht, bis Social-Media-Unternehmen vollständig reguliert sind, können wir uns selbst regulieren. Wir können unsere Telefone zu Hause lassen, sie nicht benutzen, während wir auf den Bus warten, und die gewonnene Zeit bewusst für Aktivitäten nutzen, die unser Gehirn stärken, zum Beispiel zum Lesen eines Buches. Vielleicht könnten wir uns einfach langweilen lassen. Wir haben die Macht, unser Gehirn zurückzuerobern und so unser geistiges Gleichgewicht wiederherzustellen.
Daher möchte ich Ihnen gerne empfehlen, sich eine Badewanne einzulassen und sich dort unsere neusten Artikel durchzulesen. Und eine Bitte hätte ich noch – nehmen Sie für die Gesundheit Ihres Gehirns das Handy nicht mit.